Ernten wie zu Großvaters Zeiten

Riesige Mähdrescher wie jetzt gab es damals noch nicht, obwohl Dreschmaschinen schon hochentwickelt waren. Technisch war das nur noch ein sehr kleiner Schritt, und der wurde mit Versuchsmaschinen hier in Deutschland auch schon mal probiert. Dabei wurde festgestellt, dass die im reifen Getreide noch saftigen Unkräuter wie Diesteln und andere beim Dreschvorgang mit ihrem Saft die Kornqualität ruinierten und die Maschine hoffnungslos verschmierten. Es gab auch noch zu wenig Trocknungs= und Speichermöglichkeit für das viele gleichzeitig anfallende Korn. Nicht Ingenieurskunst sondern das logistische Umfeld hat zu Großvaters Zeiten eine moderne Ernte verhindert.
Wie hat man dann damals Getreide geerntet und warum nicht anders?

Im Vergleich zu heute wirken die Erntemethoden von vor über 50 Jahren vorsintflutlich. Trotzdem erinnern sich viele alte Menschen eher an die Romantik der Ernte als an ihre Mühsal. Und das erklärt vielleicht auch, warum noch so viele alte Erntemaschinen nicht verschrottet worden sind, obwohl die sperrigen Biester viel Platz brauchen und gegenüber alten Treckern nur einen kleinen Spaßfaktor haben.

Zunehmend finden überall im Land unter großem Publikumsinteresse Bindermäher= und Dreschvorführungen statt.
So hat auch Peter nach Aufgabe der Landwirtschaft seinen Cormick-Binder immer noch stehen und sein Handwerk als Landwirt auch noch nicht verlernt. Und er wollte vor Publikum zeigen, wie zu Opas Zeiten geerntet wurde. Also suchte er einen kleinen Acker, und machte ihn mit einem seiner vielen Oldtimer-Trecker, mit Pflug und Egge saatfertig. Um es zünftig anzustellen, besorgte er auch Saatgut von einer längst ausgestorbenen Roggen-Sorte. Das war im Herbst 2009.

Im Juni 2010 war der Roggen doppelt so lang geworden wie der moderne auf allen anderen Roggenschlägen und begann zu reifen. Damit bei der bevorstehenden Ernte Ende Juli/Anfang August Gäste dabei sein konnten, muste ein Termin her. Und der richtet sich nicht nach dem Kalender sondern nach dem Reifezustand vom Korn und dem Wetter.
Zu Opas Zeiten entschied ihn der Chef nach einem letzten Gang auf den Schlag. Dabei prüfte er das Korn und schaute in den Himmel, um die Wetteraussichten einzuschätzen.
Das ist jetzt auch nicht anders. Nur ist an die Stelle der persönlichen Wettereinschätzung eine zuverlässige 3-tägige Wettervorhersage getreten und ermöglicht eine entsprechend frühere Bekanntgabe des Erntetages. Und der ließ sich über das Internet allen interessierten Helfern und Zuschauern mitteilen. Wer dabei sein wollte, konnte sich auf der bekannten Seite laufend über den Fortgang der Reife und den möglichen Erntetermin informieren. Das hat prima geklappt.

Dass früher nicht alles so romantisch gewesen sein kann, bekamen wir dann bei der Oldi-Ernte zu spüren. Denn der lange Roggen war im Halm weich geworden, hatte sich in alle Richtungen verwuselt und war schwer zu mähen, in ordentliche Garben zu binden und aufzuhocken. Und dabei fiel mir wieder ein, dass wir uns auch früher schon mit ähnlichen Verhältnissen herumgequält haben.

Über einen langen Zeitraum war neben dem Brotkorn auch das Halmstroh ein wichtiger Ernteertrag. Es wurde zur Einstreu vom Vieh, zum Abdecken der Kartoffel= und Rübenmieten und sogar zum Dachdecken gebraucht. Peter hatte aber vergessen , dass diese alten Sorten wegen ihrer Halmlänge und Anfälligkeit für Fußkrankheiten nicht sehr standfest waren und oft Probleme beim Mähen gemacht haben. Die Landwirte waren damals froh, dass Wissenschaftler und Züchter daran arbeiteten, und nahmen nach  der Einführung von Spaltenböden, Maissilage und Kartoffelscheunen die neuen kurzen Sorten nur zu gerne an.

Beim Ernten auf alte Art lässt sich leider nur zeigen, wie das Getreide gemäht, aufgehockt, eingefahren und gedroschen wurde. Was dahinter steckt, kann man als Laie nur ahnen. Denn die Ernte musste schon immer den Lohn für ein ganzes Jahr an Arbeit und Aufwand einbringen und war darum enorm wichtig. Dagegen wurden alle anderen Termine zweitrangig. Die Erntebereitschaft ging einfach vor. Eine Heirat in dieser Zeit oder eine entsprechend verbindliche Verabredung war undenkbar.

Mit dem Binder wird das Getreide schon früher gemäht als mit dem Mähdrescher, damit die Körner noch fest genug in den Ähren sitzen und durch das Gewühle beim Mähen u nd Aufhocken nicht ausfallen. Dieser Zustand der Vollreife hält aber nicht lange an und muss unbedingt genutzt werden.
Weil früher noch nicht gegen Unkräuter auf den Äckern gespritzt wurde, gerieten unterschiedlich stark auch Diesteln und andere Unkräuter saftig grün mit in die Garben. Die trockneten in den Hocken, während die Körner dort ausreiften. Deshalb fuhr man die Garben nach dem Mähen nicht sofort ein sondern stellte sie für ein paar Tage zum Trocknen und Nachreifen in Hocken auf.
Beim Dreschvorgang war dann das Unkraut vertrocknet und konnte die Dreschorgane nicht mehr mit Saft verschmieren. Dabei wurden auch die Unkrautsamen aussortiert und zur Wildfütterung im Winter gebraucht. Sie kamen also nicht wieder auf den Acker und dort zum Auflaufen. Ökologischer Landbau? ..saubere Äcker ganz ohne Spritzen? .... Alles schon gewesen. Wer es nicht glauben will, schaut mal ganz unten auf die Bilder von 1938.

2010 hatten wir trotz der recht kleinen Fläche nicht endlos Zeit aber Glück; denn das Wetter war nicht eindeutig, und auch Abendfeuchte bedroht das Mähen durch Wickeln der Halme. Mit den vielen Helfern ließen wir es trotzdem recht locker angehen und empfanden das auf dem Transport verloren gegangene Mähmesser auch nicht als sehr tragisch. Schließlich wurde es ja wiedergefunden. So etwas durfte aber früher nicht passieren; denn die Natur wartet nicht gerne.
Noch heute muss jeder Handgriff sitzen also gut eingeübt sein und Aufenthalte durch unnötiges Maschinenversagen muss unterbleiben. Und darum gehörte auch die Betriebssicherheit von Schlepper und Erntemaschinen zur landwirtschaftlichen Ausbildung. Wir lernten auch, bei Fehlknüpfungen anhand des Knotenbildes die Ursache zu finden und durch rasches Abstellen Aufenthalte zu vermeiden. Peters Knoter arb eitete prima. Und er konnte einer staunenden Berufsschullehrerin den Knotervorgang ganz langsam mit  Handbetrieb vormachen.

Geändert hat sich auch, dass damals auf einem Betrieb nicht mehr Getreide gleichzeitig reifen durfte, als mit den vorhandenen Maschinen und Menschen zu schaffen war. Erst mit den Lohnbetrieben kamen auch die Monokulturen auf.
Rechtzeitig ernten ging nur mit vielen Menschen und auf größeren Höfen nur mit zusätzlichen Hilfskräften. Deshalb verdienten sich damals noch viele Frauen, Schüler und Rentner in der Landwirtschaft ein Zubrot beim Rübenhacken, Kartoffelnlegen und der Ernte von Heu, Getreide, Kartoffeln und Rüben. Verständlicherweise wollte sich jeder Betrieb seiner Helfer auch sicher sein und war um ein ganzjährig gutes Verhältnis zu ihnen bemüht. Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass so viele Menschen noch romantische Ernteerinnerungen pflegen und unsere Aktivitäten mit landwirtschaftlichen Oldtimern mit Interesse und Wohlwollen begleiten. Nach dem glücklichen Abschluss der Ernte gab es erst mal einen Schnaps und dann ein zünftiges gemeinsames Essen. Das gehört seit alters her zum guten Brauch und wurde auch bei Peter schon nach dem Mähen mit Grillwurst, Bier und lustigem Geplauder gepflegt.

Leider haben wir auch die früher viel stärkere Abhängigkeit vom Wetter vergessen. Wenn vor dem Einfahren der Hocken ein Unwetter einsetzte, mussten alle umgefallenen Hocken schnell wieder aufgestellt werden, denn in Erdnähe beginnt das todreife Korn zu keimen und verliert seine Backqualität und seinen Wert. Wenn die Hocken in einer warmen Regenperiode lange nicht eingefahren werden konnten, kamen oben die neuen Halme schon aus den Ähren. Dann taugte alles nur noch als Futter, und der Ernteerfolg schmolz täglich bei steigendem Arbeitsaufwand.

Mähdrescher, neue Sorten und Pflanzenschutz haben die Schrecken der Ernte stark gemildert aber ihren Zauber nicht bewahren können. Der ist verloren gegangen. Geblieben sind Erinnerungen an Erntetage mit vielen fröhlichen Helfern, an gemütliche Vesperpausen bei den Hocken, an schwere Arbeit, Staub und Schwitzen und den mit Unwetter drohenden Wolkenhimmel. War endlich die letzte Garbe geborgen, war auch heimlich schon die Erntekrone gebunden und wurde feierlich an den Bauern und seine Frau übergeben und das Ereignis als etwas Besonderes festlich begangen. Wie früher das Dreschen von der Hocke oder später im Winter auf den Höfen ablief, hat einer von uns als Zeitzeuge im Pionier Nr.105 vom Juli 2005 beschrieben. Immer waren viele Menschen beteiligt, gab es Staub, Schwitzen, Spaß, Fluchen, Scherzen und immer gutes Essen und Trinken.

Peters Mähbinder wurde von seinem MAN gezogen und über die Zapfwelle auch angetrieben. Nach der Einführung der Mähbinder am Ende des 19.Jahrhunderts wurden sie noch von Pferden gezogen und durch das mit Stollen versehene große Landr ad unter dem Elevator angetrieben; denn Pferde haben ja keine Zapfwelle.
Wo ich jetzt wohne, hat in den 50iger Jahren ein Stoßbinder von JF gelaufen, der hinten an einen 11er Deutz F1L612 montiert war und rückwärts ohne Anmähen in einen Getreideschlag einfahren konnte. Normalerweise wird der Mähbinder in Transportstellung zum Getreideschlag gefahren und dort in Arbeitsstellung gebracht. Dafür mähte man von Hand vorher hinter dem Heckloch (Koppeleinfahrt) eine ausreichende Fläche frei. Anfänglich wurde auch jeder Getreideschlag vor dem Mähen noch von Hand per Sense  in Schwadbreite "rundgemäht", damit die Zugtiere bei der 1.Runde Platz hatten. Später sind wir nach dem Umbau mit einer Schlepper-Spur am Feldrand und dem Landrad vom Binder in der anderen Schlepperspur in das stehende Getreide gefahren, so dass nur eine Spur herunter gedrückt wurde und zum Schluss gegenläufig sauber gemäht werden konnte.
Meine Großmutter erinnerte sich noch an die Zeiten vor 1890, als Saisonarbeiter als Schnitter mit ihren Familien auf die Höfe kamen, um das Getreide mit der Sense zu mähen. Dabei folgte einem Schnitter im Meterabstand seine Frau beim Binden der Garben, dann der nächste Schnitter und so weiter. Auf großen Höfen versorgten die Kinder und Alten die schwer im Akkord arbeitenden Eltern mit Essen und Trinken.
Sie berichtete auch von einer amerikanischen Maschine, die 1890 versuchsweise zum Mähen und Binden des Getreides eingesetzt wurde. Schon in der ersten Nacht haben die Schnitter sie zertrümmert, weil sie um ihren Job fürchteten. Wenn sich in den vergangenen 100 Jahren nichts verändert hat, so ist es die Sorge um den Arbeitsplatz.
Sobald die Körner in den Hocken ausgereift und das Unkraut abgetrocknet war und Erntewetter herrschte, konnte eingefahren oder gedroschen werden. Dabei stand die Dreschgarnitur auf dem Getreideschlag zwischen den Hocken und wurde von einem Trecker über die Riemenscheibe angetrieben. Das Stroh wurde dabei von der Ballenpresse über eine Rutsche auf den Stroh-Diemen geschoben und von mehreren Männern sauber und möglichst regenfest gepackt. Das Hockendreschen noch während der Ernte diente nur dem Nachschub von Futterkorn, der Saatgutgewinnung und zum Auffüllen der Lohnkasse. Der größte Teil der Ernte lagerte aber im Halmstroh in den Scheunen oder in großen Runddiemen und musste deshalb nicht schlagartig auf den Markt wie jetzt.

Das Laden  war eine Kunst, damit die Fuder nicht umschmissen und trotz festem Verband der Garben leicht abzuladen waren. Wenn sich auf dem Fuder beim Laden ein Anfänger abgemüht hatte, durfte der Abstaker ruhig kräftig lästern und nach dem Lagenbuch rufen. Gelernt ist eben gelernt, und aller Anfang ist schwer. Oft entstand zwischen der Binnen= und der Butenmannschaft ungewollt ein Wettstreit, weil nach dem Auf= oder Abladen noch ein paar Minuten Verschnaufpause rausspringen sollten. Dem Bauern konnte es nur Recht sein. Dabei konnten wir den ankommenden Bulldog immer schon rechtzeitig hören und uns einrichten. Auch hier war bei aller Schinderei immer viel Spaß mit im Spiel wie beim Bindermähen und Einfahren in Bevern.

So lange die Erde sich dreht, wird zum Glück weiter gesät und geerntet werden. Nur bekommen es viele Menschen nicht mehr mit. Das wollen wir mit unseren Aktivitäten verändern und natürlich auch selber noch Spaß dabei haben.
Oskar