Dornröschen

die Geschichte eines Kühler-Bulldog aus den Ende 1920iger Jahren, der auf einer kleinen Ostsee-Insel im Freien stehen gelassen worden war und an das Märchen von Dornröschen in ihrem langen Schlaf in Dornen und Diesteln erinnerte

Nein, bestimmt nicht. Keine wunderschöne Prinzessin und kein ungestörter Schlaf. Aber so ähnlich hat es sich schon zugetragen. Alles begann vor etlichen Jahren mit einem Gespräch unter zwei Träumern. „Ich habe auch so einen, aber viel älter als Ihrer,“ verriet er mir und erzählte dann von seinem Bulldog, wie das Bubbern seine Kindheit begleitete, der Schornstein weiße Ringe in den blauen Himmel pustete, vom Anheizen mit der Lötlampe, und wie er seine Heimat verlassen mußte, um beruflich weiter zu kommen.

Jetzt war er ein feiner Mann. Die Schwärmerei um den Bulldog auf seinem elterlichen Hof hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Er wohnt in meiner Nähe, hat aber die Nabelschnur zur Kindheit nicht durchtrennt; denn in jedem Urlaub und auch zwischendurch macht er sich mit Frau und Kindern auf eine lange und beschwerliche Reise durch Deutschland bis zum väterlichen Anwesen auf einer kleinen Insel in der Ostsee. Hier hat er auch seinen Bulldog wiedergefunden— leider in recht trauriger Verfassung.

Besuchen Sie mich dort mal,“ schlug er mir vor. „ Ich hab auch etwas Werkzeug da. Sie schrauben an meinem Bulldog, während ich Ihnen etwas Schönes zum Mittag mach. Anschließend können wir baden oder mit dem Boot auf die Ostsee. Wie wär`s?“... Wen würde so ein Angebot selbst ohne Aussicht auf eine goldene Nase nicht reizen? Ich fuhr also hin und machte mich tatsächlich aber in Begleitung meines begeisterungsfähigen Zwillingsbruders Eckart auf  die lange Tour.... 

8°° Uhr früh waren wir am Wasser verabredet. Ein Fischer stand in seinem Boot. Von unserem Freund weit und breit nichts zu sehen. Vielleicht hat er verschlafen, dachte ich. Wir fragen den Mann im Boot, ob er uns rüber rudert. Aber dazu kam es nicht mehr; denn unter einer recht schietigen, schief sitzenden Mütze schauten uns aus einem bartstoppeligen Gesicht vergnügt zwei wohlbekannte Augen an. Die Überfahrt war aufregend. Unser Fährmann ruderte souverän, nicht mit zwei Riemen im Sitzen sondern mit nur einem und zwar stehend vom Heck aus. Das hatten wir noch nicht erlebt. 

Dann gab es erst mal Frühstück. Und danach ab zum Bulldog! Das Anwesen lag inmitten eines alten Eichen-Bestandes in verschlafener Ruhe. Zwischen einer neu erstandenen Halle, der Scheunen-Ruine und den Trümmern des Altenteiler-Hauses fanden wir von Büschen und Brennesseln fast zugewachsen das Ziel unserer Reise. Da stand er auf vier Eisenrädern, vorn mit Spurkranz, hinten mit Schrägwinkeln in rostiger Traurigkeit. Die Hinterräder an den Standflächen durchgerostet. Auch nicht die kleinste Spur einer alten Lackierung mehr. Ein alter Eimer bedeckte den Stummel, der vom Schornstein übrig geblieben war. Die vordere Schraubplatte unter dem Kühlwasser-Behälter mit dem Bulldog Schriftzug war weggerostet und hatte einen Vogel zum Brüten eingeladen. Der Platz über dem Zylinder war vollgestopft mit Nestmaterial. Oh heiliger Strohsack, wie sah der Bulldog aus. Aber Sitz und Lenkrad hatten Charme. 

Das Lenkrad aus Holz, allerdings nicht mehr original sondern bißchen eckig und unegal und unzweideutig mit Sorgfalt und Geschick aus  Knickholz nachbereift. Der Sitz war wie auf alten Fotos mit einer Rundeisen-Reling um die eiserne flache Sitzschale ausgerüstet und mit einer Blattfeder verschraubt. Zwei Muschelkotflügel begrenzten seitlich den sonst offenen Führerstand. Dort fanden sich je ein Fußpedal rechts und links zu einer gemeinsamen Welle unter dem Bulldog. Beide bombenfest. Aus dem Getriebe ragte nur  ein Schalthebel, daneben ein Handbremshebel, dessen Gestänge aber ins Leere ging. Es fehlte die Bremstrommel am Getriebe. 

Weil ich damals mit den alten Typen von Lanz noch nicht vertraut war, wunderte ich mich über die Anordnung der Schwungräder. Die Seite mit dem Lüfter-Antrieb sitzt normalerweise links. Hier saß sie rechts mit dem dazugehörigen Regler und Pumpenantrieb. Die Seite mit der Kupplung war dementsprechend links . Der Schornstein-Krümmer war weit ausladend, um dem Flachriemen bei Riemenbetrieb Platz zu lassen. Wer sich bei Lanz auskennt, wird längst erraten haben, daß es sich hier um einen der vielen 15/30iger aus den 30iger Jahren handelt, den 1. Kühler-Bulldog von Lanz, mit 10 ltr.Hubraum , und 30 PS an der Riemenscheibe und 15 PS am Zugmaul. Auf seiner rechten Schwungradhaube prangte das Firmenschild der Eisengießerei Strahlsund.  Die Fabrik-Nr. fanden wir auf der linken Stirnseite der Kurbelwelle. 

Die Vorderachse war eine Gabelachse. Nach der ersten Besichtigung wollten wir natürlich wissen, was noch drehte, und ob Chancen bestanden, ihn zum Laufen zu bringen. Es war erstaunlich und machte uns Mut; denn die dicken Fett= und Dreckkrusten  in allen Bereichen der Maschine sind nicht nur ärgerlich sondern haben auch eine gewisse Schutzfunktion.Der Kolben ließ sich gut bewegen, machte sogar Kompression und ließ die Luftklappen über dem Kurbelgehäuse ordentlich schnarren. Nun machten wir uns mit Hochdruck an die umfangreichen Vorbereitungen, um unseren Alten aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken. 

Da gibt es immer wieder erstaunliche Geschichten von wiedergefundenen Bulldogs, denen man nach vielen Jahren Standzeit in einer alten Scheune nur die Heizlampe unter den berühmten Glühkopf zu halten brauchte, um sie zum Laufen zu bringen. Das mag sein, wenn der Bulldog unter altem Gerümpel trocken und vor Kondenswasser geschützt zugebracht hat. Aber hier stand er ungeschützt im Freien. Wer begriffen hat, wie Wasser in den Tank kommen kann, wird sich nicht wundern, wenn nach so vielen Jahren auch die Getrieberäderunter Wasser stehen oder sogar die Einspritz-Pumpe. Mit der Ölpumpe hatten wir aber Glück. Sie war voll Öl und hatte kein Kondenswasser gezogen. Wir brauchten einen ganzen Tag, um Tanks und Filter so weit instand zu setzen, daß wir sie wieder benutzen konnten. Das Vogelnest über dem Zylinder war unbewohnt und flog raus. Dann gings ans Ausmisten des ganzen Zylinderraumes, bis wir wieder bis zum Loch Wasser auffüllen konnten. 

Der Tank hatte zwei große Guß-Schraubdeckel für Diesel und Schmieröl. Nachdem wir die Ölpumpe gereinigt und überprüft hatten, auch die Kurbel zum Öl Vorpumpen fand sich an, konnte aufgefüllt werden. Das hört sich so leicht an. Hierbei kann man nämlich große Fehler machen, nicht mit dem Diesel, wenn er sauber ist, aber mit dem Öl. Denn der alte Bulldog wurde früher mit unlegierten Motorölen geschmiert, die keine Rußpartikel aus der Verbrennung in sich aufnehmen und die Leitungen rein halten konnten wie HD Öle. Wenn jetzt mit modernem Öl aufgefüllt wird, kann es zum Lösen von Ablagerungen in den Leitungen und zu deren Verstopfung kommen. Unlegierte Öle gibt es nicht mehr an jeder Straßenecke. 

Das war zum Glück für uns kein Problem, wohl aber die Einspritzanlage. Die war in so einem desolaten Zustand, daß wir glaubten, aufgeben zu müssen. Aber wir waren beide mit offenen Augen durch die Kriegs= und Nachkriegszeit gegangen und hatten gelernt, nach Lösungen zu suchen. Während ich an Pumpe, Leitungen, den beiden Ventilen und der Düse werkelte, machte sich Eckart über die Heizlampe her, mit der er durch unseren früheren eigenen Bulldog Erfahrung mitbrachte. Pumpe und Ventile ließen sich mit Bordmitteln so weit bringen, daß sie Diesel durch die Druckleitung spritzten. Ein großes Loch und einen Riß im Düsenhütchen konnte ich nur durch Nietschläge so weit schließen, daß ein ganz klein wenig Zerstäuben dabei heraus kam. So mußte es gehen.

Leider war die Heizlampe auch alles andere als schön. Aber sie fauchte ordentlich, hielt aber den Druck nicht und mußte ständig kräftig nachgepumpt werden. Der Glühkopf wollte und wollte nicht heiß werden. Schließlich waren fast 25 Minuten vergangen. Es zeigte sich Qualm am Auspuffstummel und Hoffnung auf unseren Gesichtern. „Schmeiß Du ihn an“, meinte Eckart. Also steckte ich  das Lenkrad mit schön gefettetem Schaft in die Kurbelwellen-Nut, drehte auf Kompression und pumpte ein paar Stöße Diesel vor. Darauf gab es das erste „Bub“ und eine halbe Kurbelumdrehung. Das machte Mut. „Mach weiter so“, rief Eckart.... Und schon lief er... Das Rausziehen des Lenkrades war kein Problem. Wir strahlten uns gegenseitig und den Bulldog an und konnten es nicht fassen. Er lief, nicht wie ein Spinnrad, nein überhaupt nicht. Ich mußte den Drehzahlhebel fleißig hoch und runter ziehen. Aber er lief.

Und dann kam die Dusche. Während wir uns noch  glücklich anschauen, kommt von oben ein schwarzer Ölregen auf uns runter, den zweifellos unser Freund ausgespuckt hat. Eckart hatte die Heizlampe schon zugedreht, ich ließ den Handgashebel sausen, und so suchten wir erst mal das Weite. Unser Bulldog war wieder stumm und wir beide schwarz wie die Neger. Wer das Sprichwort vom begossenen Pudel kennt, begreift den Augenblick...buchstäblich. Unser Gastgeber lacht,... wir nicht.  Aber alles geht einmal vorbei. Unser Zeug landet im Karton. Wir sind bald wieder sauber und neu eingekleidet und starten noch einmal. Während Eckart die Heizlampe bedient, lasse ich das restliche Öl aus dem Kurbelgehäuse und befaß mich mit der Leitung vom Öler dorthin. Sie fördert nämlich Frischöl ins Kurbelgehäuse, statt daß sie das alte und überschüssige absaugt. Uns dämmert, daß wir noch einmal kommen müssen, wenn  der Bulldog besser laufen  soll.

Auf den zweiten Besuch würden wir nicht unvorbereitet sein und den Bulldog ein ordentliches Stück weiter bringen. Jetzt ging es auch nicht mehr um Spaß und Baden sondern Ausgaben für Anschaffungen, die wir mit unserem Gastgeber besprechen mußten. Dann ging es an die Erstellung einer Liste von Arbeiten für einen 2. Besuch, an das Notieren von Maßen und Daten und Erstellen von Zeichnungen. Die Einspritz-Anlage wurde komplett demontiert und zur Mitnahme eingepackt. Mit dem Regler würden wir uns befassen müssen und auch mit dem Zündsack, der nach der langen Anheizzeit zu schließen verdreckt sein mußte. Dann lockte ein nächtliches Lagerfeuer zwischen Strand und hohen Eichen.

Ein Jahr später hatten wir eine Menge Teile und Werkzeug auf die lange Reise mitgenommen. Das kleine Boot lag bei der stür­mischen Überfahrt zur Insel tief im Wasser, um doch im nächsten Augenblick hoch auf einem Wellenkamm zu reiten. Wir bangten um uns und die wertvollen Sachen an Bord und bekamen kräftige Zweifel an unserem Vorhaben.. Unser Gastgeber aber war ein sicherer Ruderer und brachte uns heil hinüber. Auch Eckarts Begeisterung machte Mut und wirkte ansteckend. Und das war gut; denn es gab eine Menge zu tun. Während ich den Auspuffkrümmer abgeschraubt hatte, um ihn mit dem zu Hause angefertigten Schornstein-Oberteil zu verschweißen, versah Eckart die mitgebrachte Steigrohrplatte mit den notwendigen Bohrungen. Auch mit dem Regler hatte ich mich zu Hause eingehend beschäftigt, sodaß ich nach Gangbarmachen und Schmieren der Gelenke und der Montage der Einspritzanlage die Grundeinstellungen vornehmen konnte.

Es gibt da ein Buch von Ernst Heinl im Verlag Klaus Rabe, das bei der Reparatur und Restaurierung von Glühkopf-Bulldogs sehr wertvolle Hilfe leisten kann. Es handelte sich bei uns um einen Alldrehzahl-Regler, dessen Federvorspannung mittels Fühllehre zwischen den Federlagen gemessen wird. Die Einspritzanlage hatte ich komplett überholt, das Filtergehäuse geschweißt, die Leitungen mit neuen Schraubnippeln versehen, das Düsenhütchen ausgetauscht wie auch die Ventil-Federn und die Stoffbuchsenpackung, so daß wir den Bulldog gemeinsam schon am nächsten Tag zu seiner ersten Ausfahrt vorbereitet hatten. Nun sah er aber schon rich­tig gut aus, hatte wieder einen wunderhübschen und zu ihm passenden Schornstein mit Prallteller und Funkensieb und statt des großen Lochs vorne im Steigrohr eine neue, grau lackierte Stahlplatte mit dem LANZ Emblehm.

Die Kupplungspedale mit den dazugehörigen Wellen waren völlig eingerostet und machten wie all die anderen Bereiche und auch das Gangbarmachen und Einstellen der Backenkupplung enorme Mühe. Die Ausmaße des Riemenscheiben-Schwungrades mit der Kupplung wirkten riesenhaft. Unter dem Kurbelgehäuse, wo sonst bei diesem Bulldog Typ eine Rückholpumpe für das überschüssige Schmieröl angebracht ist, war nur die schon vorher beschriebene Ölleitung, die mir Rätsel aufgab. Die Rückholpumpe suchte ich vergebens. Die Heizlampe war nun in ihren Dichtungen so schlecht und bedrohlich geworden, daß wir mit Gas anheizen mußten. Leider bekam ich den Zündsack zur Reinigung nicht herunter, sodaß das Vorheizen fast eine halbe Std. wie beim letzten Mal dauerte.

Aber dann wurde wieder alle Mühe durch gleichmäßiges Blubbern des Bulldog belohnt. Unvor­stellbar schön war dieser Augenblick. Und wir liefen mit freu­dig erregten Gesichtern um die Maschine herum, ob Ihr auch ja nichts fehlte. Dann kam die erste Ausfahrt, für die das Los auf mich gefallen war. Und so schwang ich mich auf den blattgefe­derten Sitz mit der typischen Rundeisenumrahmung und drückte mit aller Kraft das linke Kupplungspedal, bis die Riemenscheibe zum Stehen kam. Dann konnte ich den ersten Gang einlegen und mit dem rechten Pedal wieder einkuppeln. Mit etwas ungewohntem Handgas dazu ging es nun unter dem Gejaule des großen Getriebes nach vorne los. Dann konnte ich auch die anderen Gänge auspro­bieren.

 Inzwischen hatten sich auch unsere Gastgeber anlocken lassen und luden uns zu Kaffee und Kuchen in Hörweite ins Grü­ne. Hier entstand auch das Bild von unserer erster Aus­fahrt, die mit eigener Kraft in einem richtigen Treckerschuppen endete, mit einer Schiebetür gegen Regen und Schnee. Hier wartet unser Bulldog auf die verdiente Restauration und einen Besit­zer, der sich der damit verbundenen Mühe unterwirft und ihn dann eines Tages in technisch gutem Zustand und neuem Lack-Gewand einem staunenden Publikum vorstellt.

1.Ausfahrt Für uns endete der Aus­flug auf die kleine Insel und unser Abenteuer mit dem alten aus seinem Dornröschenschlaf erwachten Bulldog zunächst mit einem herrlichen Bad in der Ostsee. Ist es nicht wie in dem bekannten  Märchen, wo die Prinzessin nach langem Schlaf in einer völlig veränderten Zeit wieder erwacht? Der Vergleich des zarten Mädchens mit dem eisenharten Veteranen ist natürlich zum Lachen. Aber mit den Bubber-Lauten war mir, als wachte ein bei der Entrümpelung vergessener Zeuge einer für uns weit zurückliegenden, emsigen und arbeitsreichen, glücklichen und leidvollen Zeit noch sehr verschlafen mitten zwischen Urlaubern und Hobby-Schraubern wie zwischen Menschen von einem anderen Stern wieder auf. So vieles hat sich seither verändert. Der alte Bulldog aber vermag diese Spanne mit seinem Bubbern zu überbrücken und Zeuge von Menschen zu sein, die unsere Erde schon wieder verlassen haben. Er war ihr Produkt und ihr Werkzeug und gibt Zeugnis von Können und Fleiß. Es wäre sehr schade, wenn er wieder vergessen würde oder in falsche Hände käme. Hoffentlich sehen wir uns in Brokstedt mal wieder, Dornröschen!

Oskar