baby blue

Eigentlich sollte die "baby blue" ein Rennauto werden aus einem ausgedienten Go-Cart und dem Motor eines alten Rasenmähers. Aber dann klappte es mit der Beschaffung nicht wie erhofft. Damals gab es eben noch kein eBay und keine Müllabfuhr. Also lohnte es sich bei geplanten Anschaffungen, öfter mal einen Blick auf die Schuttkuhle im Heidebarg zu werfen.

Die gab zwar einen alten Benzin Rasenmäher her, nicht aber das gewünschte Go Cart. Dafür fand sich ein altes Bonanza Fahrrad. Also wurden die Pläne umgestellt. Flexibel muss man sein. Das gilt auch heute noch. Zu dritt waren wir ab dann in jeder freien und gemogelten Zeit mit Sägen, Bohren, Zeichnen, Überlegen und Konstruieren beschäftigt, bis die erste Probefahrt in den Heidebergweg stattfinden konnte.

Die Konstruktion war genial: Weil der Motor unmöglich an der klassischen Stelle plaziert werden konnte, mußte er auf den Gepäckträger. Die Kraftübertragung war über zwei Keilriemen gedacht und zwar vom Motor zum Tretlager und von dort zum Hinterrad. Dafür mußte der Motor gedreht werden, so daß seine Kurbelwelle quer zu liegen kam. Dem entsprechend bekam auch der Vergaser eine Verdrehung zum Motor.

Für die Untersetzung der hohen Drehzahl mußten zwei große Riemenscheiben aus alten Waschmaschinen wieder aus der Schuttkuhle herhalten im Wechsel mit den zwei kleinen von den Elektromotoren. Als Fahrkupplung war der zweite Riementrieb vom Tretlager (mit der kleinen Riemenscheibe) zum Hinterrad (mit der großen Riemenscheibe) vorgesehen. Ein Kugellager als Spannrolle sollte über Bowdenzug und Handhebel die Aufgabe der Kupplung übernehmen. Der Tank bekam seinen Sitz elegant oben auf dem Motor. Die einzige Geldausgabe leisteten wir uns mit dem Auspuff; denn er sollte was hergeben und war als schräg nach oben geführtes Rohr geplant, das wir nicht schweißen konnten und dafür zum Schmied bringen mussten ( auch den gab`s damals noch in in vielen Dörfern ).

Die Probefahrten waren spannend und brachten weitere Verbesserungen wie Fußrasten, Verkleidung, eine Traktorlichtmaschine und einen Traktor-Scheinwerfer, später auch eine Fanfare. Leider war der Motor mit seinen 2,1 PS so schwach, daß er bei der Benutzung der elektrischen Einrichtungen in die Knie ging und das Husten bekam. Ein Lackanstrich in Lanz-Bulldog-Blau gab den letzen Schliff. Wir drei Konstrukteure lernten mächtig dabei und wußten schon über Unterbrecherhebel und Funkenstrecke Bescheid und vergaßen dabei fast das Rasenmähen und die Schulaufgaben.

Unentwegt machte die kleine Maschine mit dem eigenwilligen Design und der über ihr wehenden blau-weißen Zweitaktfahne den Heideberg unsicher, bis eines Tages etwas Unerwartetes eintrat. Ihr hattet eine Motorradzeitschrift in die Hände bekommen, die einen Wettbewerb für selbstgebaute Maschinen ausschrieb, hattet Euch eine Sofortbildkamera geliehen, die Maschine fotografiert und zur Teilnahme angemeldet. Und es kam tatsächlich eine Antwort. Die „baby blue“ war anhand der Bilder und Angaben in die engere Wahl gekommen und wurde zur Endausscheidung mit Fahrer und „Werkmannschaft“ zum Motorradrennen nach Hockenheim eingeladen.

Das gab vielleicht eine Aufregung! Und dann ging wieder das Planen los. Und wieder keine Gedanken an Rasen und Schule. Wie auch, wenn viel Wichtigeres auf dem Spiele stand. Es wurde spannend; denn das Zeitfenster war eng. Ihr solltet die Schule nicht schwänzen und mir blieb nur die Spanne zwischen dem Melken am Freitagabend und Dienstantritt am Montagmorgen.

Wir zerlegten also die Maschine, packten sie an Stelle des Beifahrersitzes in unseren Käfer ( VW Einheitskraftfahrzeug der 70iger Jahre ) und starteten zu dritt am Freitagabend mit Ziel Rennstrecke Hockenheim-Fahrerlager, Samstag 9°° . Ein Navi hatten wir noch nicht nur eine geliehene Straßenkarte von Deutschland. Die Nacht verbrachten wir in greifbarer Nähe in einem Wald und machten uns in einer Raststätte an der Autobahn frisch für unseren Auftritt. Pünktlich waren wir dort und fuhren stolz mit dem Durchfahrtsschein an der Windschutzscheibe durch die vielen Menschen zum Fahrerlager.

Der Zusammenbau erfolgte zwischen den Rennmaschinen und den selbstgebauten. Dabei schauten schon mal Leute vom Verlag und der Prüfungskommission vorbei und unterhielten sich leise über ihre Eindrücke. „baby blue“ schien Interesse zu wecken, obwohl sie zwischen Motorrädern mit dem Käfer-Motor, selbstfahrenden Gartenstühlen mit Mofamotor und Fliehkraftkupplung, großen Motorrädern mit selbstgefertigter Fiberglasverkleidung,, umgebauten Minimotorrädern und anderen profimäßig hergerichteten Wettbewerbern laienhaft wirkte. Der leise hingehauchte Satz „Erfüllung eines Kindheitstraumes“ streifte mein Ohr und traf damit exakt den Kern. Schließlich landete „baby blue“ unter 90 Teilnehmern auf dem 5.Platz.

Zur Siegerehrung folgten alle in einer Rennpause einem vorne weg fahrenden Porsche durch das Motodrom. Beim Einbiegen der Kolonne fehlte unser Werner. Während die Kolonne langsam am staunenden Publikum vorbei fuhr, sahen wir beide von der „Werksmannschaft“ traurig und in Gedanken Dich schon mit verrecktem Motor irgendwo stehen.

Da bog eine winzig kleine Maschine ganz langsam mit der bekannten blauweißen Abgasfahne über sich in das Motodrom ein und löste bei den Zuschauern einen tosenden Beifall aus. Im Nu war das Motorrad von Menschen umringt. Und wir konnten Kameras und Scheinwerfer erkennen. Du bekamst ein Interview exklusiv. Danach sahen wir zu dritt und zum ersten Mal richtige Motorradrennen mit Solo= und Beiwagenmaschinen aus der bevorzugten Sicht des Motodrom und konnten Tank= und Wartungsstops beobachten und durch die Lautsprecher das Einstimmen der Zuschauer auf die Favoriten erleben.

Die Nacht verbrachten wir auf Einladung des Verlags in einem Hotel und waren dann pünktlich wieder zu Hause. Heute ist alles nur noch Erinnerung. „baby blue“ sollte nach Deinem Wunsch so lange Gnadenbrot erhalten, bis es in Deinem eigenen Traumhaus mal würde einen ehrenden Platz finden können. Es wurde nichts daraus. Einsam rostete sie schließlich vor sich hin. Der Platz wurde gebraucht.

Und so ging sie eines Tages den Gang alles alten Eisens. Ein kleines Motorradmuseum hätte sie gerne gehabt---leider zu spät. In unserer Erinnerung aber lebt sie weiter zu Hause auf dem Heidebergweg, ihrer einzigartigen Vorstellung auf der Rennstrecke von Hockenheim und zerlegt im Käfer, wo sie mit ihrer großen Lampe bei den häufigen damals noch üblichen Tankstopps an der Autobahn neugierige Blicke auf sich zog und sicher mehr Kraft ahnen ließ als sie besaß.

Oskar